Simulation in der Medizintechnik: INNEO unterstützt Entwicklung von Stents bei Bentley
Firma: Bentley InnoMed GmbH
Themen: Simulation
Branche: Medizintechnik
Erschienen in:
Digital Engineering Magazin 08/2020
Bericht herunterladen ZurückStents können Leben retten – jedoch erst nach einem langwierigen Entwicklungs- und Zulassungsprozess. Wie Simulation hilft, diesen Prozess abzusichern und robuster zu gestalten.
Deutsche Kliniken setzen laut Wikipedia ihren Patienten jährlich über 500.000 Stents ein, um Blutgefäße offen zu halten, zu erweitern oder zu stützen. Ein Unternehmen, das sich auf sogenannte gecoverte Stents spezialisiert hat, ist die Hechinger Firma Bentley. Wie Simulation dabei hilft, die Qualität und Lebensdauer der kleinen „Heilsbringer“ zu optimieren, zeigt dieser Bericht.
Gegründet im „Medical Valley“
Die Gegend um Hechingen ist ein Hotspot der Medizintechnik und nennt sich selbstbewusst „Medical Valley“. Hier gründeten auch Miko Obradovic und Lars Sunnanvaeder im Jahr 2009 das Unternehmen Bentley, um eine Idee Obradovics zur Marktreife zu bringen. Sunnanvaeder hatte bereits einige Firmen im Bereich Medizintechnik gegründet. Heute stellt Bentley etwa 80.000 Stents her und beschäftigt 187 Mitarbeiter.
Wie ein Stent arbeitet
Stents dienen als medizinische Implantate meist zum Offenhalten von Gefäßen und Hohlorganen. Es handelt sich dabei um Röhrchen aus geflochtenem oder geschnittenem Draht, die im radial zusammengedrückten Zustand auf einen Ballon aufgecrimpt werden, der wiederum am Ende eines Katheters sitzt.
Der Chirurg schiebt den Katheter mit Hilfe einer Schleuse und eines Führungsdrahts durch einen winzigen Schnitt in das betroffene Gefäß, bis der Stent an der Stelle sitzt, an der das Gefäß geweitet werden soll. Dann wird der Ballon aufgepumpt, das Geflecht weitet sich und der Durchmesser des Stents wird größer, bis er das gewünschte Maß erreicht hat. Dann wird der Ballon entleert und der Katheter herausgezogen.
Der Stent verbleibt im Gefäß und kleidet es sozusagen von innen aus und stützt es. Eine Sonderform sind gecoverte Stents, bei denen das Drahtgeflecht von einem folienartigen Material bedeckt ist, so dass ein geschlossenes Rohr entsteht. Diese Form dient unter anderem der Reparatur von Aneurysmen. Ein Aneurysma entsteht, wenn die Wand eines Gefäßes geschwächt ist und sich eine Ausbeulung bildet, in der sich eine große Menge Blut ansammeln kann.
Platzt diese Ausbeulung, kann der Patient in kürzester Zeit sterben. Der gecoverte Stent überbrückt die geschwächte Stelle des Gefäßes und nimmt den Druck von der Ausbeulung, um so das Platzen zu verhindern.
Die Stents-Familie wächst
Auf Basis ihrer Ideen haben die Bentley Gründer im Jahr 2012 zunächst einen gecoverten Stent auf den Markt gebracht, um den sich bis heute sukzessive eine ganze Familie von gecoverten und ungecoverten Stents entwickelt hat.
Bentley-Stents bestehen überwiegend aus Kobalt-Chromstahl, aber auch aus Formgedächtnislegierungen. Letztere werden beispielsweise an Gelenken eingesetzt, bei denen eine hohe Flexibilität des Stents gefordert ist. Der Durchmesser der eingesetzten Stents schwankt je nach Einsatzgebiet zwischen 2,5 und 30 Millimetern. Seit 2018 läuft eine Studie mit einem Stentsystem, das schon bei Säuglingen eingesetzt werden kann und im Lauf der Jahre mit dem Wachstum des Kinds immer wieder aufgeweitet werden kann.
Die Zulassung ist langwierig
Die Zulassungsprozesse für solche medizinischen Implantate ist langwierig, es können einige Jahre vergehen, bis ein Stent auf den Markt gebracht werden darf. Dementsprechend wichtig ist es, in der Entwicklungsphase sehr sorgfältig zu arbeiten, damit nicht in der Zulassungsphase Probleme auftreten, die die Markteinführung gefährden oder gar verhindern.
Stents müssen zuverlässig eine Radialkraft ausüben, um das Gefäß offen zu halten und gleichzeitig so flexibel sein, dass der Operateur auch schwierig zu erreichende Gefäße im Körper einfach erreichen kann. In Arterien kommt der wechselnde Blutdruck hinzu: Bei jedem Herzschlag weiten sich die Gefäße und ziehen sich im Anschluss wieder zusammen. Die resultierenden Kräfte muss ein Stent mindestens zehn Jahre überstehen, ohne dass beispielsweise ein Steg bricht, was zu Komplikationen führen würde.
Eine weitere Herausforderung bei der Entwicklung ist, dass sich der gecrimpte Stent beim Platzieren im Gefäß gleichmäßig und genau auf die vorgesehene Weise aufweiten muss, um optimal arbeiten zu können.
Lebensdauertests gehören deshalb zum Standardrepertoire der Untersuchungen, die ein neues Modell überstehen muss. Die Materialermüdung (Fatigue) lässt sich mit Hilfe der numerischen Simulation sehr gut berechnen, was wiederum schneller und preiswerter ist als physikalische (reale) Lebensdauertests.
Simulation – denn jeder Patient ist anders
Bentley nutzt seit einiger Zeit die Simulationswerkzeuge von Ansys, wobei Dr.-Ing. Andreas Maucher die Simulation ins Unternehmen gebracht hat: „Ich hatte bereits in meinem vorigen Arbeitsverhältnis Berührungspunkte mit den Ansys Produkten und habe die Software hier eingeführt. Allerdings ist Ansys im Medizintechnik-Bereich nicht sehr verbreitet und wir mussten uns vieles selbst oder gemeinsam mit INNEO erarbeiten. Im Gegensatz zu früher, als wir die Simulationen extern vergeben haben, ist das mühsamer, aber wir lernen extrem viel.“
Die Herausforderung für Simulationen in der Medizintechnik ist die Definition von Randbedingungen, denn die sind bei jedem (realen) Patienten unterschiedlich. Doch mithilfe von Simulation können an Parametersets für breite Bereiche durchgerechnet werden, um herauszufinden, wo die Grenzen eines Materials beziehungsweise einer Konstruktion sind und welche Parameterkombination den Worst Case darstellt.
Mit diesen wird dann der reale Langzeittest durchgeführt. „So verringern wir die Anzahl realer Versuche und sind trotzdem auf der sicheren Seite“, verdeutlicht Maucher. Ähnliches gilt für die Grundlagenentwicklung. Simulationen lassen schnell erkennen, welche Designs vielversprechend sind, weniger optimale lassen sich schneller ausfiltern und vor allem, bevor der erste physikalische Versuch begonnen hat.
Ein Hindernis auf dem schnellen Weg zum Aufbau einer großen Produktpalette ist der, dass sich Stents nicht einfach vergrößern lassen. Die Designs für die unterschiedlichen Durchmesser sind daher teils sehr unterschiedlich und erfordern jeweils eigene Simulationen.
„Die Simulation mit Ansys hilft uns in zweierlei Hinsicht“, fasst Maucher zusammen. „Zum einen werden wir schneller, weil wir die optimale Variante schon in der Simulation finden und weniger physikalische Tests durchführen müssen, weil wir den Worst Case schon identifiziert haben. Zum anderen steigt die Sicherheit, die Zulassung erfolgreich zu durchlaufen, weil wir eine breite Palette an Parameterkombinationen durchgerechnet haben.“
Dabei birgt die Berechnung von Stents in der Praxis einige Herausforderungen, wie Maucher ausführt: „Die Stents sind extrem verformbar und flexibel, das Modell besitzt sehr viele Freiheitsgrade, wodurch eine erfolgreiche Rechnung von vielen Faktoren abhängt. Gemeinsam mit INNEO haben wir viel experimentiert und getestet, bis wir Methoden entwickelt haben, die stabile Berechnungen ermöglichen.“
Wegen der speziellen Form haben die Simulationsmodelle der Stents oft sehr viele Elemente. „Deshalb können manche Rechenläufe einige Zeit in Anspruch nehmen. Wenn solch eine lang laufende Berechnung dann nicht konvergiert, ist viel Zeit verloren – das wollen wir natürlich vermeiden. Mit wachsender Erfahrung werden wir da aber immer besser“, kommentiert Maucher.
Rainer Bregulla, Direktor Forschung & Entwicklung bei Bentley ergänzt: „Simulationen sind inzwischen ein ständiger Begleiter in der Konstruktion. Wir setzen Ansys auch in der Konstruktion von Fertigungshilfsmitteln ein, das Simulieren geht oft schneller, als einen Nachweis von Hand zu rechnen. Ansys ist wirklich ein ungemein praktisches Konstruktionswerkzeug.“
Der Distributor INNEO stellt Bentley auch einfach mal eine Lizenz eines Paketes zum Testen zur Verfügung, wenn das Unternehmen seine Simulationswerkzeuge erweitern möchte. „Dann zeigt sich schnell, ob eine bestimmte Erweiterung uns wirklich hilft und sich rechnet.“, sagt Maucher
Bregulla schließt: „Bei anderen Herstellern sind Stents ein kleiner Teil des Angebots, Bentley konzentriert sich voll auf diese eine Produktkategorie. Als Nischenanbieter müssen wir besser sein als die anderen – mit besseren Produkten, aber auch besserem Service. Das ist einer der Gründe, warum wir immer mehr Bauteile selbst herstellen, die wir früher zugekauft haben. Inzwischen fertigen wir unsere Ballonkatheter und Stents größtenteils selbst. Da gibt es dann eben auch mehr zu konstruieren und zur Zulassung zu bringen. Simulation ist eine sehr große Hilfe, um möglichst effizient und sicher diese langwierigen Prozesse zu durchlaufen.“
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Stents müssen zuverlässig eine Radialkraft ausüben, um Gefäße offen zu halten und gleichzeitig so flexibel sein, dass der Anwender schwierig zu erreichende Gefäße im Körper einfach erreichen kann. -
Simulation hilft beim Ausbau der Produktpalette beispielsweise dadurch, dass nicht zielführende Designs noch vor realen Tests ausgeschlossen werden können. -
Bentley ist ein internationales Medizintechnikunternehmen mit Sitz in Hechingen. -
Dr.-Ing. Andreas Maucher (links) und Rainer Bregulla, Direktor Forschung & Entwicklung bei Bentley.
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